Freihandel hat uns immer gut getan

Schlachtriesen wie Tönnies stehen in Deutschland nicht nur wegen der Corona-Fälle massiv in der Kritik. Die Regierung möchte die Branche an die kürzere Leine nehmen. ANKA LORENCZ, Fleischexpertin in der Wirtschaftskammer Österreich, sprach mit STE FAN NIMMERVOLL über Preisdruck, Chancen im Export und warum sie eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung ablehnt.
Blick ins Land: Empfanden Sie in den letzten Wochen insgeheim Genugtuung, weil gewisse Praktiken in unserem Nachbarland plötzlich im Scheinwerferlicht stehen?
Anka Lorencz: Zumindest ist eines klar geworden: Österreich ist nicht mit Deutschland vergleichbar. Wir haben einen arbeits- und sozialrechtlichen Status, von dem Deutschland meilenweit entfernt ist. Bei uns gelten der Mindestlohn und viele weitere Bonifikationen – und das in einer klein bis mittel strukturierten Betriebslandschaft. Gleichzeitig verfügt Deutschland dadurch aber über einen ungeheuren Preisvorteil.
Unsere Schlachthöfe sind viel kleiner. Aber sind die Bedingungen wirklich um so viel besser?
Lorencz: Ja. Wenn ich nicht diesen hohen Durchsatz habe, ist der Druck nicht so groß. In den deutschen Großschlachtereien ist alles durchgetaktet. Unsere Betriebe sind flexibel genug, dass sie auspuffern können, wenn es einmal eine Verzögerung gibt.
Der Beruf des Fleischhauers war einmal angesehen. Heute sind das anscheinend Hilfsarbeiter auf der untersten Stufe der sozialen Leiter.
Lorencz: Das würde ich, zumindest für Österreich, nicht sagen. Wir haben in der Fleischwirtschaft einen riesigen Mangel an Fachkräften. Deshalb haben wir während der Corona-Sperrmaßnahmen mit dem Ministerium darüber diskutiert, ob wir Angehörige des Bundesheers an den Schlachtbändern einsetzen können, wenn ausländische Arbeitskräfte nicht mehr einreisen dürfen. Die Antwort war nein, weil es extrem viel Fachwissen braucht, um diese Arbeit auszuführen.
Warum finden sich dann kaum Inländer, wenn Fleischer so gefragt sind?
Lorencz: Leider sinkt die Zahl an Lehrlingen. Für junge Leute ist das Image des Berufs nicht gut genug. Wir sind mit dem Arbeitsmarktservice in intensivem Kontakt, wie wir das ändern können.
Die Möbelkette XXXLutz bietet aktuell ein Schnitzel mit Beilage um 2,50 Euro an. Ist das im Interesse der Schlachtindustrie?
Lorencz: Damit wird zwar zusätzlicher Absatz geschaffen. Das geht aber eindeutig nicht in die Richtung, die wir uns wünschen.
Also muss Fleisch teurer werden?
Lorencz: „Geiz ist geil“ hat in der Fleischwirtschaft nichts verloren. Für höherwertige Ware fehlt jedoch leider oft der Absatz. Und in der momentanen Situation, wo viele Leute arbeitslos sind, verschärft sich das noch.
Es entsteht aber der Eindruck, dass die Menschen das aktuelle System satt haben.
Lorencz: Wenn ich mich auf die Straße stelle und die Leute frage, ob sie bereit sind, mehr auszugeben, wenn die Standards höher sind, werden alle ja sagen. Die Auswertungen an den Kassen zeigen aber ein anderes Bild. Wir wissen aus Umfragen, dass nur 13 Prozent der Konsumenten bereit sind, höhere Fleischpreise bewusst in Kauf zu nehmen.
Dann könnte ja der Staat für höhere Preise sorgen. In Deutschland wird über eine Fleischsteuer diskutiert, um bessere Bedingungen in der Branche möglich zu machen.
Lorencz: Mit zusätzlichen Steuern erreicht man nichts. Wenn ich die Leute dazu bringen will, dass sie mehr in bessere Standards investieren, darf ich hochwertige Produkte nicht noch teurer machen, sondern muss ein Umdenken in den Köpfen der Menschen erreichen.
Kann es überhaupt das Ziel der österreichischen Fleischwirtschaft sein, uns an internationalen Preisniveaus zu orientieren?
Lorencz: Das können wir gar nicht, weder jetzt noch in Zukunft. Wir sind nur im Qualitätsmarkt konkurrenzfähig. Mit Masse haben wir auch im Export noch nie punkten können. Internationale Märkte kaufen bei uns, weil wir in der Lage sind, die Qualitäten und Zuschnitte zu liefern, die sie wollen, nicht, weil wir billig sind. Um das Geld, um das Australien anbietet, können wir bei uns nicht einmal eine Kuh in den Schlachthof treiben.
Dann müsste es gelingen, sich viel mehr von internationalen Preisentwicklungen unabhängig zu machen.
Lorencz: Nein. Wir sind keine Insel. Natürlich können wir aufgrund der speziellen Cuts leicht höher anbieten. Aber auch die Preiselastizität hat ihre Grenzen, etwa, wenn aus anderen Märkten wie Deutschland mit immer neuen Niedrigpreisen angeboten wird.
Einige größere Schlachthöfe haben eine Zulassung für den Export von Schweinefleisch nach China bekommen. Wie schaut es damit jetzt konkret aus?
Lorencz: Wir sind gut im Geschäft. China hat voriges Jahr durch den massiven Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest eine riesige Menge an Tieren verloren und ist rund um die Welt ausgeschwärmt und hat so ziemlich alles aufgekauft, was einen Rüssel hat. So viel kann die Welt gar nicht liefern, um den Sog abpuffern zu können, der davon ausgeht. Die Parmaschinken-Produzenten in Norditalien mussten einen Krisenstab einberufen, weil sie keine Rohware mehr bekommen haben.
Also ist dieses Geschäft noch ausbaubar?
Lorencz: Der Bedarf Chinas ist so groß, dass noch viel Platz ist. Allerdings müssen wir auch liefern können. Ich hatte einmal die Anfrage einer Dame für Schweineohren nach China. Ich habe aus Spaß gemeint, dass wir bei einer Schlachtkapazität von fünfeinhalb Millionen Schweinen pro Jahr elf Millionen Ohren anbieten könnten. Sagt die doch glatt zu mir: „Das ist nicht viel. Da müssten wir wieder Lieferanten bündeln.“
Gerade die Landwirtschaft fürchtet sich aber vor allzu liberalem Freihandel.
Lorencz: Freihandel hat uns immer gut getan, weil Österreich in der Lebensmittelwirtschaft extrem exportorientiert ist. Man darf aber nicht alle Freihandelsabkommen in einen Topf werfen. Auf wunde Punkte muss man Augenmerk legen.
Sogar EU-Agrarkommissar Wojciechowski beklagt aber, dass die Distanz vom Stall zum Teller zu weit geworden ist.
Lorencz: Es ist durchaus wünschenswert, dass wieder mehr regional produziert wird. Österreich ist bei den meisten agrarischen Rohstoffen zum Zuschussland geworden. Zu Stoßzeiten bräuchte ich Schweine mit vier Lungenbraten, um den Bedarf der Bevölkerung abzudecken. Diese Mengen sollten wir im eigenen Land sicherstellen können.
Geht es denn unter einen Hut, einerseits mehr Freihandel, andererseits aber mehr regionale Produktion zu fordern?
Lorencz: Ja, durchaus. Wichtig ist aber, dass die Standards vergleichbar sind. Solange wir uns auf WTO-Ebene darauf nicht geeinigt haben, brauchen wir Außenschutz.
Bis Brasilien europäische Standards übernimmt, wird es aber wohl noch lange dauern.
Lorencz: Ich gebe zu, dass das ein langer Weg ist. Aber es ist wert, angegangen zu werden. Die Welt rückt immer mehr zusammen, ob uns das gefällt oder nicht.
Die Landwirtschaftskammer fordert seit langem eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung für Fleisch. Warum sind Sie so dagegen?
Lorencz: Weil es nichts bringt. Wir übernehmen sowieso alles, was in Österreich wächst und gedeiht. Ich kenne keinen Bauern, der auf seiner Sau sitzengeblieben wäre. Für uns ist entscheidend, wo die meisterliche Verarbeitung stattfindet.
Aber der Preis für landwirtschaftliche Produkte wäre vermutlich besser, wenn es mehr Konkurrenz darum geben würde.
Lorencz: Diese Rechnung wird am Ende des Tages nicht aufgehen. Es ist einfach nicht genug Ware für alle da. Unter dem Strich würde das bedeuten, dass sich Großabnehmer das, was vorhanden ist, krallen und für die Kleinen nichts überbleibt. Ist es das Signal, das wir geben wollen, dass die kleinen Fleischer im Dorf keine Ware mehr bekommen? Außerdem nehmen wir damit jenen, die in lokalen Kooperationen mit Bauern die Herkunft heute schon ausweisen, ihr Alleinstellungsmerkmal weg.
Ist es nicht dennoch unlauter, wenn der meiste Tiroler Speck nicht einmal von österreichischen Schweinen stammt?
Lorencz: Der Speck, den sie ansprechen, geht zu 60 Prozent in den Export. Der deutsche Kunde will genauso wie der österreichische heimische Rohstoffe. Daher trägt der Speck, der in Österreich verkauft wird, das AMA-Gütesiegel, jener, der nach Deutschland geht, nicht. Der angesprochene Betrieb macht damit genau das, was die Abnehmer von ihm erwarten.
Anka Lorencz ist Geschäftsführerin der Bundesinnung der Lebensmittelgewerbe in der Wirtschaftskammer Österreich und Leiterin des Koordinationsbüros Fleischwirtschaft. Seit Ende 2019  ist sie auch Vizepräsidentin im Internationalen Metzgermeister-Verband (IMV).

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